Fellow project: "Wahrnehmungsverzerrungen: Ein Problemfeld (auch) der Rechtsgeschichte. Beobachtet am Beispiel des Konkursrechts und seiner Praxis um 1900"
Ausgangspunkt ist die wahrnehmungs- und gedächtnispsychologische Forschung auf der Grundlage der Studien, die der Psychologe Daniel Kahnemann, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gemeinsam mit Amos Tversky erarbeitet hat. Seitdem haben zahllose Untersuchungen den Nachweis immer weiter verdichtet, dass menschliches Denken, Entscheiden und Erinnern einer Fülle systematischer Verzerrungen (biases) unterliegt, die lästige Gemeinsamkeiten aufweisen: Diese Verzerrungen sind schwer zu vermeiden, wirken in bestimmte Richtungen und treffen - dies ist für mein Beobachtungsfeld von besonderem Interesse - auch und gerade Experten, die in ihrem Fach bestens qualifiziert sind. Diese Forschung hat in der Rechtswissenschaft zur Ausdifferenzierung einer neuen Teildisziplin geführt (Behavioral Law and Economics), die sich zumindest im Kapitalmarktrecht auch in Deutschland bereits etabliert hat. In vielen anderen Teildisziplinen - nicht zuletzt in der Rechtsgeschichte - wird die wissenschaftliche Brisanz der kognitionspsychologischen Herausforderung dagegen noch kaum wahrgenommen. Als konkretes Beobachtungsfeld habe ich einen Bereich gewählt, der mir durch meine Vorarbeiten gut vertraut ist - die deutsche Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtspraxis im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert - und zugleich große rechtshistorische Forschungslücken aufweist: Das Insolvenzrecht auf der Grundlage der Konkursordnung (1879/1900) in seiner Ausformung durch die Praxis der Konkursverwalter und Gerichte, an erster Stelle durch das Reichsgericht. Entstehen soll im Ergebnis ein Buch für die Schriftenreihe "Rechtsprechung Materialien Studien" des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte.