Fellow project: "Krise schreiben. Prekäre Arbeitswelten in der europäischen Gegenwartsliteratur"
In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich im Gefolge sozialer Verwerfungen ein neues und geradezu proliferierendes Wortfeld herausgebildet, denn in den Medien und in aktuellen, meist soziologischen Publikationen spricht man über ‚Prekariat’, diskutiert über ‚Prekarität’ und ‚Prekarisierung’. Zugleich entdecken deutsche, französische und spanische Autor/inn/en wie Moritz Rinke und Kathrin Röggla, Émmanuelle Heidsieck und Yves Pagès oder Laura Meradi und Isaac Rosa Ökonomie, Business und Arbeitswelt als ergiebige literarische Sujets wieder. Anders als in der Angestelltenliteratur der Weimarer Republik oder in der ‚Literatur der Arbeitswelt’ der 60er und 70er Jahre gilt ihr Interesse heute einer technisch hochgerüsteten Dienstleistungsbranche mit qualifizierten Mitarbeitern – oder aber im Gegenteil den prekären Arbeitswelten der Minijobs, Überbrückungstätigkeiten und Aktivierungsmaßnahmen. Gemeinsam ist den Autoren ein großes Unbehagen angesichts eines von den Anforderungen der globalisierten Finanzwelt fremdbestimmten Arbeitslebens, das vom Arbeitnehmer Anpassung, Flexibilität und Engagement fordert, ihm im Gegenzug aber keinen sicheren Arbeitsplatz, kein angemessenes Gehalt und keine Anerkennung mehr bietet. Große Unterschiede weisen die einzelnen Texte hingegen in der ästhetischen Umsetzung des Themas auf. Das Projekt will deshalb unter Berücksichtigung des literarhistorischen Kontextes und mit dem Ziel der differenzierenden Abgrenzung zu Vorläuferphänomenen insbesondere die vielfältigen Berührungspunkte zwischen wirtschaftlichen und sprachlich-literarischen Prozessen herausarbeiten, um die Spezifika einer ‚Poetik des Prekären’ zu ergründen. Die Studie ist Teil eines interdisziplinären Forschungsprojekts, das anhand der europäischen Text- und Bildkultur der ‚extremen Gegenwart’ Formen der ästhetischen und medialen Repräsentation von ‚Prekarität’ untersucht.