Dr. Sarah Hegenbart

Alfried Krupp Junior Fellow
(Januar 2021 - September 2021) 

  • Master of Studies in Ancient Philosophy (University of Oxford); Studium der Philosophie und Kunstgeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin und der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin (Doppelstudium)
  • Promotion am Courtauld Institute of Art in London zum Thema "From Bayreuth to Burkina Faso: Christoph Schlingensiefs Opera Village Africa as postcolonial Gesamtkunstwerk?"
  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Theorie und Geschichte von Architektur, Kunst und Design an der Technischen Universität München

Fellow-Projekt: „Eine Diagnose postfaktischer Politik: Dialogische Kunst und die Ästhetik der Schwarzen Diaspora“

Die Annahme, dass das gesellschaftliche Symptom der Postfaktizität das Scheitern der Auseinandersetzung mit multiplen Perspektiven und besonders denen des Globalen Südens, die die dominante Erzählung von der Überlegenheit des Westens herausfordern, indiziert, motiviert dieses Forschungsvorhaben. Mein Projekt rekurriert auf künstlerische Positionen der Schwarzen Diaspora, um zu untersuchen, wie sich in diesen Widerstand gegen essentialistisches Denken formiert. Meine Vermutung ist, dass das sogenannte “postfaktische” oder “postdemokratische” Zeitalter durch eine Aversion gegen die Ko-existenz verschiedener epistemischer Systeme gekennzeichnet ist. Dies erklärt, warum gerade die Tatsachen, die im Gegensatz zum Denken der weißen Vorherrschaft stehen, zunehmend durch propagandistische Strategien wie „fake news“ torpediert werden. Mit Fokus auf die visuellen und diskursiven Strategien von künstlerischen Positionen der Schwarzen Diaspora werde ich deren gegenkulturelles und politisches Potential untersuchen. Mein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Aspekt des Dialogischen: Inwiefern ermöglicht die Kunst der Schwarzen Diaspora (visuelle) Diskurse, die durch die Partizipation multipler Stimmen und divergenter Perspektiven bestimmt werden? Meine Hypothese ist, dass die dialogische Kunst der Schwarzen Diaspora die Fähigkeit Ambiguitäten auszuhalten stärkt und somit zum Widerstand gegen postfaktische Angriffe beiträgt.


Ergebnisse des Fellowships

Prelude
Wann gibt es im akademischen Alltagsgeschäft die Möglichkeit, so viel zu lesen und sich vielleicht auch einmal Büchern aus anderen Disziplinen intensiver zu widmen? Viele neue produktive Gedanken konnten sich in Greifswald vor allem dadurch entwickeln, dass ich am Kolleg die Möglichkeit hatte, mich einmal völlig ungestört – abgelenkt nur von dem freundlichen Kreischen der Möwen und den Orgelkonzerten, die vom Dom in meinem Büro zu einer ganz besonderen Stimmung beitrugen – der Lektüre zu widmen. Besonders hilfreich war es, die gerade gelesenen Texte dann direkt mit Expert*innen aus der jeweiligen Disziplin im Detail zu diskutieren. Möglich wurde das zum Glück auch in unserem Jahrgang, der sich aufgrund der Pandemie erst zum Abschlusskolloquium zum ersten Mal zusammen treffen durfte, auf zahlreichen Spaziergängen am Ryck entlang und zum historischen Greifswalder Hafen sowie im Seminarraum, den wir zumindest in Kleingruppen nutzen durften.

Aus dieser Muße konnte ich noch einmal aus einer ganz anderen Perspektiven über meine Forschung nachzudenken. Hierdurch ergab sich eine drei-aktige Struktur meines Projekts, die ich im Folgenden erläutern möchte. Eine zentrale Frage meines Fellow Projekts bestand darin, wie Künstler*innen der Schwarzen Diaspora, die sogenannte postfaktische Politik und Krise der Demokratie antizipiert und dagegen ästhetische Strategien des Widerstands entwickelt haben.

Collage als Ästhetik des Widerstands und zur Umkehr kunsthistorischer Episteme
In den ersten Monaten meines Fellowships (Januar bis März 2021) habe ich mich auf das künstlerische Medium der Collage konzentriert. Dabei hat mich insbesondere die Art und Weise interessiert, wie Schwarze Künstler*innen die Collage genutzt haben und nutzen. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass ich Schwarz mit großem „S“ verwende, um zu betonen, dass ich mich auf eine Selbstbezeichnung Schwarzer Menschen beziehe. Hierbei orientiere ich mich an Noah Sow.  Sow führt diese Schreibweise in ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus ein, um zu verdeutlichen, dass „Schwarz“ als politische Selbstbezeichnung „eine politische Realität und Identität bedeutet“ und keineswegs als biologisches Attribut missverstanden werden sollte.[1] Im Zentrum meiner Beschäftigung mit Schwarzer Collage dabei eine Bildanalyse von Tschabalala Selfs Pocket Rocket (2020): die Darstellung einer Schwarzen Frau als „Cowgirl“, die darauf verweist, dass mit dem Siedlerkolonialismus verbundene Mythen (wie der sogenannte „frontier myth“) zu einer verzerrten Darstellung der US-amerikanischen Geschichte beitragen, indem historische Ereignisse, wie der Sklavenhandel oder der Beitrag Schwarzer Menschen zur Demokratisierung des Landes, komplett negiert werden. Dementsprechend geht die “Verzerrung” der Wahrheit in der Politik historisch weit über das sogenannte postfaktische Zeitalter hinaus.

Selfs Thema ruft Parallelen zu den Zielen von #BlackLivesMatter hervor. Also der politischen Bewegung, die gegründet wurde, um genau solche Ausdrucksformen weißer Vorherrschaft zu bekämpfen, die den Schwarzen Körper immer noch anfällig für staatliche Gewalt und rassistisch motivierte Morde machen. Im Gegensatz zu früheren Schwarzen Befreiungsbewegungen ist, wie Keeanga-Yamahtta Taylor betont, „das Gesicht der Black Lives Matter-Bewegung weitgehend queer und weiblich“.[2]  Ein weiterer Bezugspunkt für Pocket Rocket könnte der Mord an der 28-jährigen Atatiania Jefferson sein, die von dem 35-jährigen Polizeibeamten Aaron Dean in ihrem eigenen Haus in Fort Worth in Texas getötet wurde. Der Kunstkritiker des New Yorker, Hilton Als, suggeriert, dass Self „hier eine Aussage über den schwarzen weiblichen Körper als Zielscheibe für alle Arten von Gewalt machen könnte“.[3]   Damit gehört Self zu einer Gruppe Schwarzer Künstler*innen, die das Medium der Collage nutzen, um historische Narrative neu zu ordnen und so historische Fakten über das „Schwarze Amerika“ einzubeziehen.  [4]

Dieser Versuch, Hierarchien innerhalb einer Gesellschaft neu zu ordnen, weist historische Parallelen zu den Dada Avantgarden auf, deren Anfänge sich bis ins Jahr 1916 zurückverfolgen lassen. Hundert Jahre vor der Wahl 2016 nutzte Dada die ästhetische Sphäre als Bereich des Widerstands gegen eine kriegsbesessene, männerdominierte und nationalistische Gesellschaft.

Es ist dem Medium der Collage inhärent, dass es die Konventionen der klassischen Kunstgeschichte kritisch hinterfragt. Hierzu gehören auch die Bildgattungen. Somit ist es naheliegend, sich nach einer durch die Collage angeregten Auseinandersetzung mit Strategien der Geschichtsschreibung, die bestimmte Narrative ausschließen und negieren, sich einmal den Bildgattungen als normativen Institutionen der eurozentrischen Kunstgeschichte zu beschäftigen, um zu fragen, wie die ihnen inhärenten Ausschlusskriterien erweitert bzw. kritisch reflektiert werden können.

Dekolonisierung der Gattungen als Institutionenkritik
Für meine Hinwendung zu den künstlerischen Gattungen gab es mehrere Gründe. Wie Axel Honneth in Das Recht der Freiheit: Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit (2011) betont, sollte die Demokratie nicht nur durch abstrakte Prinzipien, sondern vor allem auch sinnlich erfahrbar sein. Während es seiner Meinung nach eine Schwäche zeitgenössischer politischer Philosophie sei, dass sie sich auf rein normative Prinzipien konzentriere, liegt eine Stärke der Kunst(geschichte) möglicherweise darin, uns die Ordnung menschlichen Lebens auch sinnlich erfahrbar machen. Wenn wir Wolfgang Kemps These folgen, dass „durch die Gattungsmalerei eine vollständige Aufteilung der Welt in die den Menschen angehenden Seinsbereiche stattfindet“, stellen sich gleich mehrere Fragen. [5] Wer nimmt diese Aufteilung der Welt vor? Und welche Menschen sind es, auf die sich diese Seinsbereiche beziehen? Werden beispielsweise die Seinsbereiche von Menschen im Globalen Süden in der eurozentrisch geprägten Tradition der klassischen Malerei repräsentiert? Oder offenbart sich hier nicht eine Leerstelle, eine Krise der Repräsentation? Möglicherweise deuten sich hier Parallelen zur Krise der Repräsentation in der Demokratie an, die jüngst beispielsweise Philip Manow in seinem Buch (Ent-)Demokratisierung der Demokratie beschreibt. Während Manow den Populismus als Versuch des Aufbruchs „eines Ausschlusses“ interpretiert, der verdeutliche, „dass ein etabliertes Repräsentationsregime historisch wird“ , habe ich das Konzept des dialogischen Bildes eingeführt, um einen künstlerischen Versuch des Widerstands gegen exklusive und veraltete Repräsentationsregime zu beschreiben.[6] Das dialogische Bild initiiert dabei einen Dialog, der auf bildlicher Ebene stattfindet. Dieser Dialog manifestiert sich zunächst im Bild selbst; nämlich dadurch, dass eine Ambiguität zwischen verschiedenen Informationen im Bild erzeugt wird. Die bestehenbleibenden Gegensätze erfordern das Aushalten von Ambiguität in einem Zeitalter der Ambiguitätsintoleranz.[7] Diese Ambiguität fordert die Rezipient*innen auf, in einen Dialog mit dem Bild zu treten, um einen Sinnzusammenhang für diese Ambiguitäten zu generieren. Sprachlich scheint der Terminus „dialogisches Bild“ eng verknüpft mit Walter Benjamins Vorstellung des „dialektischen Bildes“. Ersichtlich sind hier Parallelen zu traumatischen Bildern – Bilder, die ausgelöst durch bestimmte Trigger in der Gegenwart aus der Vergangenheit aufblitzen. Das dialektische Bild steht außerdem in Zusammenhang mit Benjamins Geschichtsbegriff. Einer konventionellen, linear-additiven Vorstellung von Geschichte steht Benjamin skeptisch gegenüber. Stattdessen bezieht er sich auf eine Form der materialistischen Geschichtsschreibung, der ein „konstruktives Prinzip zugrunde“ liegt.[8] Mit dem Terminus „dialogische Bilder“ beschreibe ich außerdem Bilder, die durch transkulturelle – womöglich unauflösbare – Ambiguitäten aufgeladen sind und somit ambiguitätstolerante Betrachter*innen erfordern. Außerdem rekurriert das Bildkonzept des dialogischen Bildes auf Kobena Mercers Ästhetik der Diaspora, die er in Travel & See. Black Diaspora Art Practices since the 1980s skizziert. Der britische Kunsthistoriker beschreibt dort das „dialektische Hin-und-Her, das dadurch entsteht, wenn Kunstwerke miteinander sprechen“. Diese „interaktive Dimension“ ist laut Mercer oft durch Ideologien überschattet, deren Annahme „eines essentialistisch fest eingeschriebenen Unterschieds“ den Blick auf europäische und afrikanische Kulturen verstellt. Das dialogische Bild vollbringt es, unterdrückte Gefühle und Ängste zum Vorschein zu bringen, und zwingt seine Betrachter*innen zur Auseinandersetzung damit. Das dialogische Bild unterscheidet sich somit von der klassischen Rezeptionsästhetik in dem Sinne, dass es nicht nur um den Austausch zwischen Bild, getriggerten gesellschaftlichen Traumata, den Rezipient*innen und ihren Emotionen geht, sondern zu einem Prozess des multiperspektivischen und multidirektionalen Austauschs anregt. Durch seine Vielschichtigkeit erzeugt es Schnittstellen zwischen bisher nicht in Zusammenhang gebrachten historischen Momenten, Daraus ergibt sich auch die Aufforderung für einen neuen Geschichtsbegriff, der nicht chronologisch, linear-progressiv verläuft, sondern diachronisch neue Verbindungen anerkennt, die wie „Traumata“ hervorbrechen.

Das Ziel dabei ist es, die Kanonisierung und Ausrichtung der historisch stark eurozentrisch ausgerichteten Kunstgeschichte zu hinterfragen Dies impliziert, einen Ordnungsmechanismus, der die klassische Kunstgeschichte prägt, kritisch zu hinterfragen. Um mit einer kritischen Analyse der Ausschlusskriterien der Kunstgeschichte zu beginnen, stellen die Gattungen einen guten Ansatzpunkt dar. Denn sie sind nicht nur Ordnungssysteme des Ausschlusses, sondern luden schon immer zur Vermischung (oder um es mit Jacque Derrida zu formulieren) zur „Unreinheit” ein.[9] Julie Mehretus politische Landschaft HOWL, eon (I, II) (2017), eine kritische Auseinandersetzung mit dem US-Amerikanischen Westen, verdeutlicht dies. In HOWL (der Titel spielt u.a. auch auf Allen Ginsbergs berühmtes Gedicht vom 1956 an) bläht Mehretu Landschaftsmalereien des US-Amerikanischen Westens von Frederic Edwin Church und Albert Bierstadt auf und lässt diese in Verbindung mit Photographien politischer Proteste in den USA (Charlottesville) auf Leinwand drucken, wodurch ein politisches Landschaftsbild oder ein landschaftliches Historienbild entsteht.  Dadurch entstehen „Gegen-erzählungen“ zu dem dominanten Narrativ der eurozentrischen Kunstgeschichte. Mit Bezug auf die Renaissance der Bildgattungen in der künstlerischen Praxis der Schwarzen Diaspora stellt sich die Frage:

Warum arbeitet sich Künstler*innen der Schwarzen Diaspora an den klassischen Gattungen ab, anstatt die europäische Kunstgeschichte einfach zu ignorieren?
Meine Vermutung besteht darin, dass die Abarbeitung an den klassischen Gattungen als normativen Ordnungssystemen dazu einen Beitrag leistet, diese zu erweitern und für künstlerische Ausdrucksformen jenseits des eurozentrischen Kanons zu öffnen. Durch die Anknüpfung an die Gattungshierarchie sollen Betrachter*innen „abgeholt“ werden und deren Blickausrichtung durch dialogische Bilder geöffnet werden.

Das Sklavenschiff, das im Rahmen der Abolition eine zentrale Rolle im Kampf gegen den transatlantischen Sklavenhandel einnahm,  bietet einen guten Ansatzpunkt um die Kanonisierung der klassischen Kunstgeschichtsschreibung zu hinterfragen, das es als ein zentrales Beispiel für das von Huey Copeland und Krista Thompson eingeführte Analysemodell der Afrotrope fungiert. [10]  Die Afrotrope beschreibt einen theoretischen Ansatz, der über die Episteme des Globalen Nordens und deren Strukturen von Raum und Zeit hinausgehen möchte, und damit die Vormachtstellung eurozentrischer Wissenschaften in Frage stellt. Das Sklavenschiff visualisiert als Afrotrope ein Geschichtsbild der Leerstelle. Anstatt Geschichte anstatt „zentraler“ historischer Ereignisse teleologisch und linear zu erzählen, steht das Sklavenschiff als Symbol für die Narrative derer, die in den historischen Diskursen der weißen Dominanzgesellschaft nicht vorkommen.

Agonistische Bilder
In den letzten Monaten meines Fellowship (Juli bis September) habe ich meine Forschung zum dialogischen Bild in den Bereich des Politischen übertragen, wofür ich den Begriff des agonistischen Bildes eingeführt habe. Das agonistische Bild greift die Prinzipien eines agonistischen Pluralismus auf, der die Wichtigkeit eines Wettkampfes oder Widerstreits von Perspektiven für Prozesse der Demokratie betont. Das agonistische Bild rekurriert dabei auf ein Demokratieverständnis, welches den „positiven Wert von Konflikt“ betont.[11] Denn gerade Konflikte und Spannung sind, laut Juliane Rebentisch, „konstitutiv für die demokratische Kultur der Freiheit“.[12] Während bisher vor allem Formen der Partizipationskunst als Beispiele agonistischer Ansätze in der Kunsttheorie und -geschichte genannt wurden, manifestiert sich meines Erachtens vor allem im digitalen Bild agonistischer Pluralismus.

Deutlich wird das beispielsweise in der Video-Trilogie Finding Fanon der britischen Künstler Larry Achiampong und David Blandy. Exemplarisch möchte ich hier Part Two der Trilogie vorstellen. In dieser Arbeit, die auf der Graphik des – vor allem aufgrund seiner Gewaltdarstellungen (aber auch seines Rassismus) – sehr kontroversen Computerspiels „Grand Theft Auto: San Andreas” basiert, nehmen die Künstler uns mit auf eine Suche nach dem Vordenker des Postkolonialismus: Frantz Fanon. Sie verorten ihn im Globalen Süden, auch wenn gleichzeitig deutlich wird, dass Fanon aufgrund seiner eigenen Herkunftsprivilegien sicherlich nicht den westlichen Stereotypen eines auf dem afrikanischen Kontinent lebenden Menschen entspricht. Der Raum des Globalen Südens wird so in die virtuelle Welt der Computerspiele hineingeschrieben. Ein Transfer von Rieke Trimçevs Vorstellung von Spiel als „politische[r] Metapher“, die verdeutlicht, dass „die Regeln der politischen Konfliktaustragung nicht vorangehen, sondern aus ihrer eigenen Dynamik entstehen und durch sie verändert werden können“, auf das Computerspiel offenbart an dieser Stelle das politische Potential des animierten Spiels.[13] Durch das Eintreten in diese virtuelle Welt ergibt sich die Möglichkeit verschiedene Perspektiven aus unterschiedlichen geographischen und historischen Kontexten miteinander in Bezug bzw. in Konflikt treten zu lassen. Auf ästhetischer Ebene wird dieses Spiel durch die von Steffen Krüger betonte Intertextualität des Videos betont, die einen Verfremdungseffekt mit Bezug auf das bereits bekannte Setting von GTA evoziert, das von Larry Achiampong und David Blandy zitiert wird.[14] Dadurch wird vor allem mit der Struktur des Videospiels vertrauten Spieler*innen die Möglichkeit zur Selbstreflexion gegeben. Den Künstlern gelingt es so (neo-)koloniale Ungerechtigkeiten, Rassismus und eine Asymmetrie mit Bezug auf die politische Repräsentation von Menschen aus dem Globalen Süden in der internationalen Politik und dessen Aufdeckung durch die (historische) aber auch spielerische Figur Frantz Fanons im Rahmen eines Spieles zu adressieren. Frantz Fanon als Vordenker der postkolonialen Theorie wird hier zitiert, um auf mehrere Phänomene hinzuweisen, die eine gleichberechtigte politische Repräsentation Schwarzer Menschen verhindern. Dazu gehören die Kommodifizierung Schwarzer Körper, rassistische Algorithmen, die verhindern, dass für Schwarze Menschen relevante Sachverhalte ausreichend Öffentlichkeit erreichen, und die Perpetuierung wirtschaftlicher Abhängigkeitsbeziehungen, die de facto die Freiheit politischer Teilhabe begrenzen.[15][16] Diese Phänomene werden anhand zahlreicher Bildmetaphern im Spiel verdeutlicht. So steht das Hafengelände als Symbol (neo-)kolonialer Ausbeutung und spielt auf den Transfer von Waren aus dem Globalen Süden in den Globalen Norden an. Postkoloniale Themen werden hier spielerisch an ein Publikum adressiert, das sich der Auseinandersetzung damit auf regulären medialen Kanälen möglicherweise nicht stellen würde.

Nebenfelder
Zusätzlich zu meinem Hauptprojekt taten sich während meiner Zeit in Greifswald noch einige „Nebenfelder“ auf. Für diese war besonders die Diskussion mit den anderen Fellows – unter anderem auch während unserer aufgrund der Pandemie leider donnerstäglichen nur Online stattfindenden Lunches – intellektuell sehr stimulierend. Dazu gehörten Themen wie Identitätspolitik, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland, deutsche Erinnerungskultur(en) und das Ignorieren zahlreicher Perspektiven, für die es in Deutschland keine Öffentlichkeit gibt, das Humboldt Forum und Deutschlands Umgang mit der eigenen Kolonialgeschichte und der deutsch-deutschen Vergangenheit, Wissenschaftsfreiheit, und der sogenannte „Zweite Historiker*innenstreit“.

Framework
Das Kolleg bietet nicht nur das ideale Umfeld zur Reflexion und Kontemplation und natürlich zum Schreiben, sondern auch zur Partizipation. So konnte ich gleich zwei Tagungen am Kolleg ausrichten. Zum einen habe ich im Mai 2021 den internationalen Workshop Beauty in action: Confronting global challenges through aesthetics organisiert. Dazu gehören nicht nur die zahlreichen interessanten Vorträge und Konferenzen, die abends stattfanden, sondern auch die Diskussion mit Wissenschaftler*innen aus Greifswald während unserer digitalen Lunch Sessions. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Präsentation von Dr. Rieke Trimcev, die Ergebnisse aus der von ihr geleiteten Käthe-Kluth-Nachwuchsgruppe zum Thema „Politische Integration durch Konflikt?“ zusammen mit ihrem Kollegen Milos Rodatos vorstellte.Ich habe mich sehr gefreut, Rieke und Milos dann gleich für die zweite von mir am Kolleg organisierte Konferenz The digital, image and democracy: Does the digital enhance representation in democratic processes? gewinnen zu können, die die beiden im August 2021 mit eigenen Beiträgen bereicherten. Überhaupt habe ich die freundliche Kollegialität in Greifswald sehr geschätzt. Insbesondere der Austausch mit Greifswalder Kolleg*innen und Co-Fellows im Rahmen von Prof. Dr. Eckhard Schumachers Forschungskolloquium, die zahlreichen Gespräche mit Prof. Dr. Isabelle Dolezalek und die hilfreichen Kommentare von Dr. Rieke Trimcev waren eine große Bereicherung.

Dank
Beginnen möchte ich mit einem herzlichen Dankeschön an meine Co-Fellows für viele interessante Gespräche, hilfreiche Lektürehinweise, die förderliche Kritik und das Improvisieren von Treffen unter Pandemie Bedingungen.
Dank der rheinischen Frohnaturen Prof. Dr. Ulla Bonas und Dr. Christian Suhm kam auch trotz der Einschränkungen während der Pandemie nie schlechte Stimmung am Kolleg auf. Dafür bin ich sehr dankbar. Besonders bedanken möchte ich mich bei Christian, der wirklich 24/7 mit Leib und Seele für die Fellows da war sowie bei Frau Bonas, die sich extra viel Zeit für Gespräche mit uns Junior Fellows genommen hat. Christin Nestler hatte immer ein offenes Ohr und jede Menge Tipps. Ein ganz herzliches Dankeschön auch an Pia Schindelarz, die bei der Konferenzorganisation immer schon die nächsten zehn Schritte erledigt hatte, bevor ich sie überhaupt ansprechen konnte. Gedankt sei außerdem Natalia Zborka, Celia Baron, Nadine Bauerfeind, Frau Kottwitz, Frau Carls, Frau Voss und Herrn Rienow, die den „Laden am Laufen“ hielten. Falls ich jetzt jemand von dem wunderbaren Team des Hauses vergessen haben sollte, namentlich zu erwähnen, bitte ich dies zu entschuldigen. Die Deadline für die Abgabe des Jahresberichts naht ;-)

Publikationen:

  • Hegenbart, Sarah: Oper der Ambiguitäten. Christoph Schlingensiefs Operndorf Afrika. München: Edition Metzel, 2021.
  • Hegenbart, Sarah: „Black Dada Data: Collage as a tool of resistance against white supremacy thinking in the digital age“, in Dada Data. Contemporary art practice in the era of post-truth politics, hrsg. v. Sarah Hegenbart und Mara Kölmel.New York/London: Bloomsbury, im Erscheinen.
  • Hegenbart, Sarah: „Zur Dekolonisierung künstlerischer Gattungen:
  • Das dialogische Bild in der Schwarzen Diaspora“. [Buchkapitel]
  • Hegenbart, Sarah: „Zum Raum wird hier die Zeit: Das digitale Gesamtkunstwerk und die Implosion von Grenzen“, in Grenzen der Künste im Zeitalter der Digitalisierung, hrsg. von Marlene Meuer, Markus Kersten und Sarah Hegenbart. Berlin: De Gruyter, im Erscheinen.
  • Hegenbart, Sarah: „Das Agonistische Bild: (Politische) Repräsentation im digitalen Zeitalter“, Entwurf für einen Aufsatz [work-in-progress].

[1] Noah Sow: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. Norderstedt: BoD–Books on Demand, 2018, S. 25.
[2] Taylor, Keeanga-Yamahtta. From #BlackLivesMatter to Black Liberation. Chicago: Haymarket Books, 2016, S. 165.
[3] Als, Hilton: „Tschabalala Self“, New Yorker, 2020, www.newyorker.com/goings-on-about-town/art/tschabalala-self (13.01.2021).
[4] Tschabalala Self uses the term Black America in this video: ep-viewingroom.exhibit-e.art/viewing-room/tschabalala-self (13.01.2021).
[5] Wolfgang Kemp, „Ganze Teile. Zum kunsthistorischen Gattungsbegriff “, in Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 76 (2002), S. 294-299, S. 297.
[6] Manow, Philip: (Ent-)Demokratisierung der Demokratie. Ein Essay. Berlin: Suhrkamp, 2020, S. 50.
[7] Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, Stuttgart: Reclam, 2018, S. 16.
[8] Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte (1942), hrsg. von Gérard Raulet, Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 41.
[9]Derrida, Jacques: Gestade. Wien: Passagen Verlag, 1994, siehe insbesondere S. 245-283.
[10] Vgl. Huey Copeland and Krista Thompson, „Afrotropes: A User's Guide“, Art Journal 76:3-4, 2017,  7-9; and Leah Dickerman, David Joselit and Mignon Nixon: „Afrotropes: A Conversation with Huey Copeland and Krista Thompson“, October, 162, 2017, pp. 3–18. Siehe auch Cheryl Finley, Committed to Memory: The Art of the Slave Ship Icon. Oxford/Princeton: Princeton University Press, 2018.
[11] Wenman, Mark.  Agonistic Democracy: Constituent Power in the Era of Globalisation. Cambridge: Cambridge University Press, 2013, S. 46.
[12] Rebentisch, Juliane. The Art of Freedom. On the Dialectics of Democratic Existence. Translated by Joseph Ganahl. Cambridge/Malden (Ma.): Polity Press, 2016, 55.
[13] Trimçev, Rieke: Politik als Spiel. Zur Geschichte einer Kontingenzmetapher im politischen Denken des 20. Jahrhunderts. Baden-Baden: Nomos, 2018, p. 26.
[14] Krüger, Steffen: ‘Facing Fanon: Examining Neocolonial Aspects in Grand Theft Auto V through the Prism of the Machinima Film Finding Fanon II’, Open Library of Humanities, 4(1):12, pp.1–31,DOI: doi.org/10.16995/olh.177 (12.08.2021), p. 6.
[15] Vgl. Everett, Anna. Digital Diaspora. A Race for Cyberspace. New York: SUNY Press, 2009, 149. See also Nelly Y. Pinkrah, ‘Programmierte Ungleichheit’, Neues Deutschland, 14.02.2020, www.neues-deutschland.de/artikel/1132898.algorithmen-programmierte-ungleichheit.html (8.03.2021).
[16] Vgl. Noble, Safiya Umoja: Algorithms of Oppression: How Search Engines Reinforce Racism. New York: New York University Press, 2018.