Adam und Eva. Musterbiographien im ausgehenden Mittelalter?

Mit der Erzählung von der Erschaffung des Menschen, seiner Würde und seinem Fall, beginnt die biblische Urgeschichte. Erstaunlicherweise finden diese ersten Kapitel, in denen die Grundzüge einer narrativen Anthropologie entworfen werden, im weiteren Bestand des Alten Testamentes kein nennenswertes Echo mehr. Erst im frühen Judentum kommt man wieder auf diesen Stoff zurück – nun aber mit umso größerer Lust an der Ausschmückung dessen, was im Buch Genesis nur angedeutet ist. Dabei entsteht ein besonderer Typus Erzählung, der als “Leben Adams und Evas” zunächst auf Griechisch und Lateinisch weite Verbreitung erfährt und zudem in die wichtigsten Sprachen des christlichen Orients (armenisch, georgisch, kirchenslawisch) übersetzt wird. Namentlich die lateinische Fassung dieser “Vita Adae et Evae” beeinflusst fortan auch die Bibelprosa in Westeuropa und wird schließlich in den vielgestaltigen Literaturbereich der sogenannten “Historienbibeln” aufgenommen. Zwei Beispiele sind dafür von besonderem Interesse: Die Dichtung Lutwins über “Eva und Adam” (13./14. Jh.) sowie ein deutsches “Adambuch” (15. Jh.). Beide Texte gestalten das Leben der Ureltern zu Musterbiographien aus, in denen grundlegende Fragen des Menschseins bedacht und entfaltet werden. Sie zeigen, wie das literarische Spiel mit dem biblischen Stoff zu neuen Perspektiven der Selbstwahrnehmung führt.

Christfried Böttrich studierte in Leipzig Evangelische Theologie. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört vor allem die Literatur des frühen Judentums und deren Rezeption.

Moderation: Professorin Dr. Monika Unzeitig


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