Die Lehnwortforschung ist ein wichtiges Instrument zur Rekonstruktion der ethnokulturellen Wirklichkeit von Sprecher*innen verschiedener Sprachen. Neben der Archäologie ist sie insbesondere für die Erforschung vorhistorischer Kontakte zwischen ethnokulturellen Gruppen relevant. Mitunter können die Ergebnisse der Lehnwortforschung zeitverzögert archäologisch verifiziert werden, mitunter liefert die Linguistik jedoch auch die einzige Evidenz für vorhistorische Kontakte. Durch diese Konstellation und den früher stark betonten Faktor des (sprachlichen) Prestiges bei der Begründung von Entlehnungsmotivationen, geriet die Lehnwortforschung mitunter in vorläufige Konflikte mit historisch-ideologischen Annahmen und Vorurteilen. Dies äußerte sich seit den 1970er Jahren in einem Disput zwischen finnischsprachigen und deutschsprachigen Linguist*innen, der die Datierung der älteren germanisch-finnischen Kontakte betraf und die gegenseitige Rezeption teilweise einschränkte. So verblasste auch der Umstand, dass germanistische und finnougristische Forschungsergebnisse seit längerem immer besser miteinander korrespondieren. Der Vortrag beleuchtet die Rolle der Linguistik für die Rekonstruktion vorgeschichtlicher ethnokultureller Verhältnisse und zeigt, wie ein fruchtbarer interdisziplinärer Austausch zur Harmonisierung der Erkenntnisse verschiedener Disziplinen beitragen kann.
Santeri Junttila studierte Finnougristik, Fennistik und Baltistik an den Universitäten Helsinki und Tartu. Er wirkte an verschiedenen Institutionen in Estland, Mordwinien (Russland) und Kroatien und promovierte 2016 an der Universität Helsinki mit der Arbeit Die Kumulierung des Wissens und die Trends in der Lehnwortforschung: Die Geschichte der Erforschung baltischer Lehnwörter im Urfinnischen [Übersetzung des finnischen Titels]. Seit September 2019 führt er an der Greifswalder Fennistik die Tradition bedeutender etymologischer Forschungen fort und leitet das BMBF-Projekt Baltische und ostseefinnische Sprachen im vorhistorischen Kontakt (BOFIK). Bereits seit 2018 fungiert er überdies als leitender Koordinator des Projekts Etymologisches Online-Wörterbuch des ältesten finnischen Wortschatzes, das an der Universität Helsinki von der finnischen Kone-Stiftung finanziert wird.
Moderation: Professor Dr. Marko Pantermöller