Muss alles diskutiert werden? Überlegungen zu Kriterien für legitime Begrenzungen im geisteswissenschaftlichen Diskurs, aufgezeigt an Beispielen

Mit großer Vehemenz und beträchtlicher Aufmerksamkeit wird die Frage diskutiert, ob an den Wissenschaftseinrichtungen unseres Landes die Wissenschaftsfreiheit durch eine „cancel culture“ bedroht ist und im Namen von „political correctness“ problematisch gewordene Positionen gleichsam von bestimmten Akteuren „wegzensiert“ werden. Zu wenig wird die Frage diskutiert, ob in wissenschaftlichen Zusammenhängen wirklich jede Position, für die der Anspruch erhoben wird, sie müsse diskutiert werden, diskutiert werden muss. Wer entscheidet darüber, was bloße Repetition längst behandelter Forschungspositionen ist, was Halbwissen oder wissenschaftlicher Unsinn ist, der die Diskussion nicht lohnt? Wie kann man entsprechende Einschätzungen äußern, ohne sofort des cancelns als Agent der cancel culture geziehen zu werden? Um eine Kriteriologie für die Unterscheidung von diskussionswürdigen und diskussionsunwürdigen Beiträgen in der Wissenschaft zu gewinnen, müssen einige Kontroversen näher analysiert werden, in denen Akteure den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und dadurch gesicherte Diskussionswürdigkeit ihrer Thesen erhoben haben. Dann wird nach den problematischen Zügen einer solchen Unterscheidung und einer möglichen Praxis ihrer Umsetzung gefragt werden. Auch dazu werden einige Kontroversen der jüngsten Vergangenheit ausführlicher analysiert.

Christoph Markschies studierte Evangelische Theologie, Klassische Philologie und Philosophie in Marburg, Jerusalem, München und Tübingen. 1994 habilitierte er sich und wurde 1995 Professor für Kirchengeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Herbst 2000 wechselte er an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und hatte dort den Lehrstuhl für Historische Theologie inne. Seit 2004 ist er Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, deren Präsident er von 2006 bis 2010 war. Seit 2012 ist er Vizepräsident, seit 2020 Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Christoph Markschies war Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin und des Institute for Advanced Study der Hebrew University Jerusalem. 2001 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Im Mittelpunkt seines breitgelagerten Werkes stehen Studien zur Strukturgeschichte des antiken Christentums, welches er vor allem im Spannnungsfeld von Griechentum und Judentum sowie von Ost und West untersucht.

Begrüßung: Professorin Dr. Ulla Bonas
Moderation: Professor Dr. Andreas Ohme


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