Die Wirkmächtigkeit der Romantik beruhte auch darauf, dass ihr kultureller und ästhetischer Weltentwurf auf Kritiker in Augenhöhe traf, etwa Hegel oder Kierkegaard. Lange Zeit war diese Kritik an der Romantik forschungsrelevant. In den letzten Jahrzehnten überwog aber die Euphorie über die Leistung der Romantik als Generator der Moderne. Ohne in die traditionelle Romantikkritik zurückzufallen, scheint es an der Zeit, die Zweischneidigkeit der Romantik, ihr innovatives Potential und ihre prekäre Konfiguration herauszuarbeiten. Die historische Rekonstruktion der Geselligkeitskonzeptionen der deutschen Romantik eignet sich für eine derartige Fragestellung besonders, weil hier die Zurückweisung traditioneller Geselligkeitsprinzipien wie Höflichkeit und Schicklichkeit zugunsten von Provokation und Störung sowohl bedeutsame Innovationen wie desaströse Folgeerscheinungen zeitigte. Der Vortrag wird den Versuch machen, anhand der beobachtbaren Verschiebung der traditionellen Unterhaltungs- zu einer romantischen Produktionsgemeinschaft das Faszinierende und das Riskante dieses romantischen Geselligkeitsansatzes zu beschreiben.
Günter Oesterle (*1941) studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Tübingen, Freiburg, Gießen und Würzburg. Er ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Justus-Liebig-Universität Gießen und hat zudem Gastprofessuren in Madison (USA) und Jerusalem. Zusammen mit Frau Prof. Dr. Christine Lubkoll fungiert er als Sprecher des Graduiertenkollegs „Klassizismus und Romantik im Europäischen Kontext. Die ästhetische Erfindung der Moderne in Literatur, bildender Kunst, Musik und Alltagskultur“.
Günter Oesterle ist desweiteren Leiter des SFB-Teilprojekts „Andenken und Eingedenken. Ein ästhetisch-soziales Wechselspiel zwischen poetisierten Gärten und Festen und literarischer Kunst des Erinnerns“
Moderation: Dr. Christian Suhm