Traditioneller Weise interessiert sich die Philosophie für das Ich der Wahrnehmung, weil dieses Ich die Wahrnehmung hervorbringt; durch seine Leistungen soll die Entstehung von Wahrnehmung erklärt werden. Doch wenn sich diese Erklärungen und Modelle über die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit von Wahrnehmung als Mythen entlarven, scheint ein dezidiert phänomenologisches Projekt notwendig zu werden, das über die umgekehrte Abhängigkeit nachdenkt. Genau das ist das Thema des Vortrages: Es soll gezeigt werden, dass die Phänomenologie sich innerhalb der Philosophie der Wahrnehmung durch eine spezifische Fragestellung auszeichnet. Nicht das Ich, welches die Wahrnehmung hervorbringt, gilt es zu thematisieren, wenn die Philosophie der Wahrnehmung an die eigenen Erfahrungen gebunden sein soll, sondern die Wahrnehmung, die mich hervorbringt, die mich in der Welt sein lässt. So sinnvoll die skeptische Haltung gegenüber den gegenwärtig dominanten Strömungen der Philosophie der Wahrnehmung auch ist, sie braucht nicht das letzte Wort zu haben: Wer wahrnimmt, weiß, wie es ist, ein Wahrnehmender zu sein. Dieses besondere, unzweifelhafte Wissen des Menschen um seine eigene Lage ist das Thema einer Phänomenologie der Wahrnehmung, die um der sicheren Erkenntnis willen auf jede Art der Unterstellung und Modellbildung zu verzichten versucht.
Lambert Wiesing studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie an der Universität Münster. Nach seiner Promotion war er von 1990 bis 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Münster. Anschließend hat er für ein Jahr die Professur für Philosophie an der Universität Bamberg vertreten. 1996 habilitierte sich Lambert Wiesing in Philosophie an der Technischen Universität Chemnitz. Es folgten die Vertretung des Lehrstuhls für Theoretische Philosophie an der Universität Jena, die Tätigkeit als Privatdozent und Oberassistent an der Technischen Universität Chemnitz seit 1996 sowie die einjährige Vertretung der Professur für Geschichte der Philosophie an der Universität Jena. Lambert Wiesing ist seit 2001 Inhaber der Professur für „Vergleichende Bildtheorie“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und seit 2005 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik.
Moderation: Juniorprofessor Dr. Hania Siebenpfeiffer