Seit über 2000 Jahren haben die Menschen das Judentum als Projektionsfläche ihres Hasses missbraucht. Anhand ihrer manichäischen Weltbilder identifizierten sie ‚die Juden‘ dabei stets mit ‚dem Bösen‘. Doch welche Rolle spielten dabei die konkreten Vermittlungformen des Antisemitismus? Welcher Emotionalisierungsstrategien bedienten sich Autoren, die ihre Adressaten zum Judenhass anstacheln wollten? Kann man diese Intention überhaupt sicher nachweisen, und wenn ja, wie? Die philologische Untersuchung des literarischen Antisemitismus ist seit den 1980er Jahren kaum in Gang gekommen. Noch erstaunlicher als diese Forschungslücke mutet es jedoch an, dass die offensichtliche Bedeutung von Gefühlen wie Angst, Ärger, Empörung, Wut oder Hass für die Rezeption und die Wirkung der Produkte judenfeindlicher Affektpoetiken in der Literaturwissenschaft bislang keine nennenswerte Beachtung gefunden hat.
Eine vergleichbare Ignoranz gegenüber den Emotionen des Antisemitismus ist auch in benachbarten Disziplinen festgestellt worden. In der Geschichtswissenschaft z.B. haben narratologische Ansätze, die zur Erhellung der Affektivität antisemitischer Quellen mit herangezogen werden könnten, bislang keine nennenswerte Rolle gespielt. Dabei ist die Frage nach der sprechenden und urteilenden (Erzähl-)Instanz und der Vermittlung der Autorposition in antisemitischen Texten im Sinne der inneren und äußeren Quellenkritik von erheblicher Bedeutung.
Es besteht kein Zweifel daran, dass sowohl der verbale und der literarische als auch der offen gewalttätige Judenhass auf dem dringenden Wunsch ihrer Urheber nach extremen, als befreiend empfundenen Emotionen beruhen. Wie könnte man diese als derart positiv und befreiend empfundenen Affekte von Produzenten, Verfassern und Rezipienten antisemitischer (Text-)Botschaften genauer untersuchen und definieren, um sie in Zukunft besser verstehen und kritisch auf sie aufmerksam machen zu können? Zugleich verlangt die Analyse dieser Emotionen des Antisemitismus eine genauere Differenzierung möglicher Adressatengruppen judenfeindlicher Texte. Möchte der literarische Antisemitismus etwa nicht nur gleichgesinnte, sondern auch jüdische oder philosemitische LeserInnen erreichen? Welche Gefühle wollen die Urheber bei ihnen auslösen?
Diese Fragen verlangen nach interdisziplinären Ansätzen. Ziel der Tagung im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg ist es, ausgewiesene Antisemitismus-ForscherInnen aus der Literaturwissenschaft, der Linguistik und der Geschichtswissenschaft miteinander ins Gespräch zu bringen, um die emotionswissenschaftliche Erforschung des Antisemitismus und seiner multimeldialen Verbreitung voranzutreiben.
Organisation:
Privatdozent Dr. Jan Süselbeck,
University of Calgary / Philipps-Universität Marburg
Kooperation:
Uffa Jensen
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum,
Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA), TU Berlin
Kontakt:
Christin Klaus, M. A.
Telefon +49 3834 420 5029
E-Mail christin.klauswiko-greifswaldde