Die russische Spätromantik ist vom Gedanken der Originalität besessen. Der Kampf gegen gängige Klischees und Berechenbarkeit kulminiert in Michail Lermontovs Roman „Ein Held unserer Zeit“. Als dieser Hauptheld wird uns Pečorin vorgeführt, der sich uns durch schamlose Beichten in einen Zustand von „Nacktheit“ und Natur vor jeder klischeehaften Verzerrung durch die Mechanismen der Zivilisation darzustellen versucht. Erstaunlicher Weise ist diese Diskussion für das gegenwärtige Horror-Genre von größter Relevanz: Wie Pečorin die Regeln der anderen durchschaut, nach denen sie spielen, haben auch die Zuschauer von Horrorfilmen wie der „Scream“-Trilogie die Klischees erkannt. Durch das Setzen der Natur (bzw. des Todes) als ein dem Menschen nicht zugänglicher, weil nicht kontrollierbarer Bereich gelingt es dagegen beispielsweise den neuen „Splat Pack“-Filmen, dem Zuschauer eine „intensive“ und „intuitive“ Erfahrung zu ermöglichen, die nicht in ein postmodernes Gleiten in den Kontext umzuschlagen droht, weil der Zuschauer den outer frame als Rahmen für das Verständnis des Films akzeptieren muss. Kann dies als neuer Versuch von romantischer Authentizität und insofern als Kitsch interpretiert werden?
Professor Dr. Alexander Wöll studierte Germanistik, Geschichte und Slawistik in München, Berlin und Moskau. Nach seiner Promotion 1997 war mit einem Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Karls-Universität Prag und habilitierte sich 2006. Danach war er Dozent an der Universität Oxford und nahm 2008 einen Ruf auf eine Professur für Ost- und Westslawische Philologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald an. Er ist Vorsitzender des polenmARkT e.V. und der Deutschen Assoziation der Ukrainisten (DAU) sowie Autor zahlreicher Bücher.
Moderation: Professor Dr. Franziska Lamott
Kitsch und der fatale Hang zur Romantik aus slawischer Sicht
Öffentlicher Abendvortrag
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