In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich im Gefolge sozialer Verwerfungen ein neues und geradezu proliferierendes Wortfeld herausgebildet, denn in den Medien und in aktuellen, meist soziologischen Publikationen spricht man über ‚Prekariat’, diskutiert über ‚Prekarität’ und ‚Prekarisierung’. Zugleich entdecken deutsche, französische und spanische Autor/inn/en Ökonomie, Business und Arbeitswelt als ergiebige literarische Sujets wieder. Ihr Interesse gilt einer technisch hochgerüsteten Dienstleistungsbranche mit qualifizierten Mitarbeitern – oder aber im Gegenteil den prekären Arbeitswelten der Minijobs, Überbrückungstätigkeiten und Aktivierungsmaßnahmen. Gemeinsam ist den Autoren ein großes Unbehagen angesichts eines von den Anforderungen der globalisierten Finanzwelt fremdbestimmten Arbeitslebens, das vom Arbeitnehmer Anpassung, Flexibilität und Engagement fordert, ihm im Gegenzug aber keinen sicheren Arbeitsplatz, kein angemessenes Gehalt und keine Anerkennung mehr bietet. Große Unterschiede weisen die einzelnen Texte hingegen in der ästhetischen Umsetzung des Themas auf. Der Vortrag will deshalb einige der vielfältigen Berührungspunkte zwischen wirtschaftlichen und sprachlich-literarischen Prozessen herausarbeiten, um die Spezifika einer ‚Poetik des Prekären’ zu ergründen.
Roswitha Böhm studierte Romanistik und Germanistik in Frankfurt a.M., Berlin und Paris. Als Wissenschaftliche Assistentin am Frankreich-Zentrum der Freien Universität Berlin lehrte sie französische und spanische Literatur- und Kulturwissenschaft. In ihrer mit dem Tiburtius-Preis der Berliner Hochschulen ausgezeichneten Dissertation Wunderbares Erzählen. Die Feenmärchen der Marie-Catherine d’Aulnoy (2003) analysiert sie neben der Rezeptions- und Editionsgeschichte deren inhaltliche, stilistische und narratologische Spezifika. Ihre Habilitationsschrift Auf Spurensuche. Erinnerte Zeitgeschichte im europäischen Gegenwartsroman widmet sich in vergleichender und kulturwissenschaftlicher Perspektive der Problematik der Literarisierung von Gedächtnis, Erinnerung und Geschichte.
Moderation: Dr. Christian Suhm