Kurz nach Ausrufung des Kriegsrechts reiste ich 1982 für drei Wochen nach Poznan, um im dortigen Wojewodschaftsarchiv über die Zeit der deutschen Besatzung, insbesondere über medizinische Verbrechen zu forschen. Am letzten Tag meines Aufenthalts wurde ich ins Institut Zachodny (Westinstitut) gebeten. Dort drückte man mir das Tagebuch von Hermann Voss mit den Worten in die Hand: “Veröffentlichen Sie das, wir können es nicht, die DDR verhindert es.” 1985 veröffentlichte ich größere Auszüge in dem von mir herausgegebenen Band “Biedermann und Schreibtischtäter”. Abermals etwas gekürzt bilden diese Auszüge nun den Text des Monodramas “Der Biedermann”, das am 27. Oktober 2016 im Theater Greifswald uraufgeführt wurde und am 8. Dezember 2016 noch einmal zur Aufführung kommt. Hermann Voss, ein Sohn Pommerns, war der berühmteste deutsche Anatom der Nachkriegszeit. Er lehrte in Jena und später in Greifswald. Im besetzten Posen profitierte er wissenschaftlich von entsetzlichen Verbrechen und trieb mit den Gebeinen der Ermordeten einen schwunghaften Handel. Später fanden sich zum Beispiel in Wien Schädel von Polen und Juden, die er dorthin verkauft hatte. Davon und vom Verhalten der Beteiligten und Mitwisser werde ich sprechen.
Götz Aly ist Historiker und Journalist. Er arbeitete für die »taz«, die »Berliner Zeitung« und als Gastprofessor. Seine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. 2002 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 2003 den Marion-Samuel-Preis, 2007 das Bundesverdienstkreuz, 2012 den Ludwig-Börne-Preis. Zuletzt veröffentlichte er bei S. Fischer »Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933« (2011), »Die Belasteten. ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte« (2013), »Volk ohne Mitte« (2015). Im Februar 2017 erscheint sein neues Buch »Europa gegen die Juden 1880-1945« ebenfalls bei S. Fischer.
Moderation: Hannes Hametner
TIPP:
Monodramen (1): Der Biedermann
von Hannes Hametner
am 8. Dezember 2016 um 20.00 Uhr im Theater Vorpommern, Greifswald
im Anschluss daran: "Senf dazu geben". Gespräch mit Götz Aly, Regisseur Hannes Hametner und Chefdramaturg Sascha Löschner