Objektrepräsentation und Erfassen unterschiedlicher Vorstellungen (“theory of mind”)

Öffentlicher Abendvortrag

Objekte haben Bestand über die Zeit. Unsere mentalen Repräsentationen müssen dem gerecht werden. Sie müssen alles Wissen, das man über das Objekt erwirbt, sammeln und wieder bereit stellen, um das Objekt später wieder zu identifizieren. Repräsentationen mit diesen Eigenschaften werden als „mental files“ bezeichnet; in Analogie zu Dateikarten auf denen alle Eigenschaften eines Objekts aufgeschrieben werden. Dies sind grundlegende Eigenschaften, die in der experimentellen Psychologie, die methodisch dem Reiz-Reaktionsschema verbunden bleibt, äußerst selten thematisiert werden.

Wichtig sind vor allem solche Fälle, bei denen zwei (oder mehrere) Files für das selbe Objekt angelegt werden, z.B.  wenn man mit einem Objekt bei verschiedenen Gelegenheiten Bekanntschaft macht, es aber nicht als das selbe identifizieren kann. Wenn man beispielsweise einen Gummiwürfel zum Würfeln bekommt und später einen würfelförmigen Radiergummi zum Radieren, dann hat man zwei Files, einen für den Radierer, den anderen für den Würfel. Wenn man dann erfährt, dass es sich bei beiden um das selbe handelt, kann man die Files verlinken (dies repräsentiert die Identität von Würfel und Radierer).

Perners Befunde zeigen, dass Kinder bis zu vier Jahren zu solchen Verlinkungen unfähig scheinen, weshalb sie seltsam anmutende Schwierigkeiten mit unterschiedlich Benennungen eines Objekts haben und auch Identitätsaussagen nicht verstehen. Diese Schwierigkeiten werden überraschenderweise in dem Alter überwunden, in dem Kinder ein Verständnis entwickeln, dass Leute unterschiedliche Vorstellungen haben können.

Ein unerwarteter Vorschlag aus der Philosophie kann diesen Entwicklungszusammenhang klären. Ist jemand, z.B. der falschen Überzeugung, dass der Würfel woanders ist, als er wirklich ist, dann erfassen wir dies gemäß dieses Vorschlags durch Erstellen eines zweiten Würfelfiles, der stellvertretend für den Würfelfile der anderen Person fungiert. Dabei ist es auch notwendig, diesen stellvertretenden Würfelfile mit dem eigenen Würfelfile zu verlinken. Da Kinder bis 4 Jahren dies nicht können, bestehen sie auch den Test zum Verständnis einer falschen Überzeugung (false belief) erst ab diesem Alter.

JOSEF PERNER hat an der Universität von Toronto in Psychologie promoviert. Er arbeitete als Professor für Allgemeine Psychologie an der Universität von Sussex und ist zurzeit Professor für Psychologie an der Universität Salzburg und Mitglied des dortigen Zentrums für Kognitive Neurowissenschaft. Er ist Autor der einflussreichen Monographie "Understanding the Representational Mind" (MIT Press, 1991) und veröffentlichte zahlreiche Artikel zur kognitiven Entwicklung und zu theoretischen Fragen des Bewusstseins und mentaler Repräsentationen. Er war als Präsident der Europäischen Gesellschaft für Philosophie und Psychologie tätig und ist Mitglied in verschiedenen wissenschaftlichen Akademien und Zentren. Ihm wurde die Ehrendoktorwürde von der Universität Basel verliehen, und er erhielt den “William Thierry Preyer Award for Excellence in Research on Human Development” von der Europäischen Gesellschaft für Entwicklungspsychologie (ESDP) sowie den Bielefelder Wissenschaftspreis für die interdisziplinäre Ausrichtung seiner Forschung.

Moderation: Prof. Dr. Horst Krist

Veranstalter:
Institut für Psychologie
Universität Greifswald
Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie


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