In den letzten Jahren haben sich die Einordnung und Interpretation von Jean Sibelius‘ Naturbezug stark gewandelt. Das liegt zum einen an seiner Ablösung vom Bild des finnischen Nationalkomponisten und zum anderen an der zunehmenden Komplexität des Naturbegriffs. Während in Musikwissenschaft und Ökomusikologie ein Konsens darüber zu bestehen scheint, dass Sibelius‘ Musik nicht auf eine immersive Naturerfahrung und vor allem nicht auf die ruhigen Naturzustände stiller finnischer Seen zu reduzieren ist, sind vor allem Fragen offen, die sich um die Archäologie eines zeitlichen Bewusstseins um die Handlungsmacht Natur jenseits anthropozentrischer Verständnisse drehen. Im Vortrag sollen Sibelius‘ Klavierwerke und Sololieder mit Klavier aus der Perspektive des geologischen Zeitalters des Anthropozäns interpretiert werden, um ihrer Rolle für ein modernes Klimabewusstsein nachzuspüren.
Gesa zur Nieden ist seit 2019 Professorin für Musikwissenschaft an der Universität Greifswald. Davor war sie Juniorprofessorin an der JGU Mainz und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der musikgeschichtlichen Abteilung des Deutschen Historischen Instituts Rom. Seit 2010 leitete sie mehrere internationale Forschungsprojekte zur frühneuzeitlichen Musiker:innenmigration und zu Musiktransfers (ANR-DFG Musici, EU-HERA MusMig und DFG-NCN Pasticcio); derzeit arbeitet sie an einem Teilprojekt zur Oper als kulturelles Erbe im Greifswalder Forschungsprojekt FragTrans. Darüber hinaus forscht sie zu Musik, Geschichte und Erinnerungen in pluralen Gesellschaften und zu Musik und Anthropozän. Zu ihren neueren Publikationen zählt u. a.: (Musik)Geschichte und (musikalische) Normativität im Zeitalter des Anthropozän, in: Tobias Janz/Jens-Gerrit Papenburg (Hg.), Ästhetische Normativität in der Musik, (= Recht als Kultur), Frankfurt a. M. 2022, S. 343-370.
Moderation: Benjamin Schweitzer M.A.