Was wäre, wenn zur Karolingerzeit nicht die Prinzipien musikalischer Notationen erfunden worden wären? Alle Musik vor dem Zeitalter der Tonaufnahmen wäre für immer verstummt und im Mülleimer der Geschichte gelandet, sie könnte weder gelesen noch reproduziert und rezipiert werden. Dass die diskreten Einheiten der Notation in einem zweidimensionalen Koordinatensystem („Tonhöhe”/"Tonlänge”) angeordnet werden, war auch den Schreibern des Rostocker Liederbuchs selbstverständlich. Nur verwendeten sie, teils in spannender Vermischung, unterschiedliche Notationsstrategien zur Visualisierung der „Tondauern“ der einstimmigen Melodien und Liedsätze. Diese Spielarten der visuellen Logik erläutere ich möglichst anschaulich am Beispiel einzelner Lieder (mit Tonbeispielen).
Hartmut Möller, 1953 in Stralsund geboren, ist Professor für Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Er hat zweimal von Australien aus die Welt topdown betrachtet, hat das Orchester Kinshasa Symphony besucht und als Rektor den Studiengang „Pop World Music“ eingeführt. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Musik des Mittelalters, Teilmusikkulturen nach 1945 und die Ästhetik und die Theorie der Musikgeschichtsschreibung. Wenn ihm seine Kinder Zeit dafür lassen, spielt er Musik von Bach bis Metallica,aber auch arabische Vierteltonmusik auf dem (Elektro-)Cello.
Moderation: Professor Dr. Monika Unzeitig