Wissen von Individuen und Gemeinschaften wird durch unterschiedliche (sprachliche und kommunikative) Praktiken konstituiert. Mit dem Begriff Wissenskultur werden diese Praktiken in den Vordergrund gerückt: Wir können einerseits davon ausgehen, dass sich auf der Grundlage verschiedener Praktiken Wissenskulturen oder auch Wissenstraditionen herausbilden. Mit der Annahme, dass Wissen kulturell bedingt ist, wird dann auf die Frage abgezielt, was eine kulturelle Gemeinschaft wissen will und kann und was nicht. Was gewusst wird, ist demnach kulturell bedingt: Wissen – und gleichsam auch das, was nicht gewusst wird – ist das Ergebnis von Aushandlungs- und Zuschreibungsprozessen kultureller Gemeinschaften.
Man könnte andererseits auch die Perspektive einnehmen, dass Wissenskulturen nicht das Ergebnis bestimmter epistemischer Praktiken sind, sondern die Kultur letztlich in der Praxis der Konstitution von Wissen besteht. Wissenskulturen sind dann bestimmte Praktiken, durch die innerhalb einer Gemeinschaft Wissen überhaupt erst erlangt wird. Wissen wird dann zwar auch als Ergebnis epistemischer Praktiken aufgefasst, die Kulturalität besteht aber genau in dieser Praxis. Wie wird beispielsweise durch (soziale) Medien Wissen generiert? Durch welche Praktiken wird Wissen innerhalb der Wissenschaft konstituiert? Die beiden genannten Perspektiven auf den Begriff der Wissenskulturen fokussieren also entweder Wissen als Produkt von Aushandlungen oder den Prozess der Wissenskonstitution. Beiden Perspektiven liegt die Prämisse zugrunde, dass Sprache bei der Konstitution von Wissen eine herausragende Rolle zukommt.
Das Forschungskolloquium setzt es sich zum Ziel, die Verbindung von Kultur(en), Sprache und Wissen näher zu untersuchen und Wissenskulturen zu einem linguistischen Forschungsgegenstand zu machen. Dabei wird zum einen die Wissenschaft selbst als Gegenstand der Untersuchung – schließlich kann die Wissenschaft als der prototypische Ort der Wissensgenerierung aufgefasst werden. Zum anderen werden aber auch andere, nicht-wissenschaftliche Orte der Wissenskonstitution, wie etwa öffentliche Diskurse, betrachtet. Im Rahmen des Kolloquiums sollen zudem methodische Zugriffe – analoge und digitale – auf Wissenskulturen diskutiert werden.
Programm
9.00 Uhr Begrüßung
9.15 Uhr Nina Kalwa (Greifswald): "Von der kulturellen Bedingtheit (sprach)wissenschaftlicher Erkenntnis
10.15 Uhr Marcus Müller (Darmstadt): "Wissenskulturen und Digitale Linguistik
11.15 Uhr Kaffeepause
11.45 Uhr Jürgen Schiewe (Greifswald): "Sprachkritik und Sprachwissenschaft – zwei Denkstile, zwei Wissen(schafts)kulturen?
12.45 Uhr Mittagspause
14.00 Uhr Pavla Schäfer (Greifswald): "Denkstile als Elemente von Wissenskulturen? Sprachwissenschaftliche Denkstilanalyse anhand von Medizinsystemen"
15.00 Uhr Kaffeepause
15.15 Uhr Anna Valentine Ullrich (Aachen): "Sinn- und Wissensstiftung in medialen Bearbeitungsverfahren"
16.15 Uhr Anne Diehr (Greifswald): "Zur Konstruktion von Wirklichkeit, Wissen und Identität im Rahmen der Flüchtlingsthematik"
17.15 Uhr Ende des Kolloquiums
18.00 Heidrun Kämper (Mannheim): "Bestreiten – Behaupten – Bezweifeln. Demokratisches Wissen im 20. Jahrhundert" (Öffentlicher Abendvortrag)
Kontakt
Nina Kalwa
Telefon +49 3834 420 5022
E-Mail kalwalinglit.tu-darmstadtde