Ukraine and the World: Paradise(s) Lost?

XXIX. Greifswalder Ukrainicum – Greifswald Ukrainian Summer School unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Dr. Roman Dubasevych (Greifswald)

Die außergewöhnliche Widerstandskraft der ukrainischen Gesellschaft angesichts der russischen Aggression wird international weithin bewundert. Sie überlagert jedoch häufig jene Gefühle von Nostalgie, Verlust und Trauer, die den Krieg von Beginn an begleiten. Die Erschütterung über das menschliche Leid und die Zerstörung von Städten und Landschaften geht einher mit dem schmerzlichen Bewusstsein tiefgreifender, unumkehrbarer gesellschaftlicher Veränderungen. Diese markieren das Ende einer langen Phase relativer Stabilität seit dem Zweiten Weltkrieg – einer Zeit, in der sich die Ukraine Schritt für Schritt in Richtung Frieden und Entwicklung bewegte.

Gleichzeitig scheint sich die Hoffnung auf eine neue europäische Führungsrolle – gespeist durch Prozesse der Entkolonialisierung, Entkommunisierung und Entrussifizierung – inmitten der gegenwärtigen Krise paradoxerweise in eine neue Verletzlichkeit zu verkehren. Die ukrainische Gesellschaft steht vor der Herausforderung, sich neu zu orientieren, während kollektive Narrative zwischen Aufbruch und Rückbesinnung schwanken.

Blickt man auf das Jahr 2015 zurück – in dem die Ukraine nach dem Euromaidan begann, ihre kulturelle Vielfalt und Offenheit neu zu entdecken – so wird deutlich, wie sehr das Land im Wandel war. Diese Entwicklungen spiegelten sich etwa in der Anerkennung mehrsprachiger Literaten und Künstler wie Andrii Kurkov, Borys Khersons'kyi, Oleksander Roitburd oder Ievheniia Bilorusets' wider sowie in der zunehmenden Bereitschaft von Historiker*innen, nationale Selbstbilder kritisch zu hinterfragen. Heute jedoch erfahren nationalistische Narrative und monokulturelle Leitbilder eine neue Aufwertung – oft als Überlebensstrategien im Angesicht eines autoritären Aggressors. Zugleich zeigt sich ein wachsender Rückgriff auf vergangene Epochen: von idealisierten Vor-2014-Zuständen bis hin zu Anklängen sowjetischer Nostalgie.

Beim Blick auf ukrainische Fernsehsendungen der 1990er- oder frühen 2000er-Jahre entsteht nicht selten eine melancholische Sehnsucht nach einer Zeit, die – bei allen politischen und ökonomischen Schwierigkeiten – von Offenheit, kultureller Vielfalt und einem gewissen Idealismus geprägt war. War dies ein verlorenes Paradies? Und wie verhält sich diese nationale Trauer zu einem weltweiten Gefühl der Desorientierung angesichts des Erosionsprozesses liberal-demokratischer Ordnungen und des globalen Erstarkens rechtspopulistischer Bewegungen?

Vor diesem Hintergrund möchte das diesjährige Greifswalder Ukrainicum diese Widersprüche und Ambivalenzen in den Blick nehmen. Es fragt nach ihren kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Implikationen – in der Ukraine wie darüber hinaus.
Sind diese nostalgischen Reflexe psychologisch nachvollziehbare Reaktionen auf das Trauma der Gegenwart? Oder stellen sie vielmehr reflexive, kritisch-produktive Zugänge dar – im Sinne Svetlana Boyms – zur Verarbeitung kollektiver Erfahrungen? Können sie möglicherweise sogar helfen, die Ursachen des Krieges besser zu verstehen oder – wie Ariadnes Faden – einen Weg aus dem Labyrinth der Entfremdung und Konfrontation weisen?

Das Ukrainicum bietet allen Teilnehmenden die Möglichkeit, sich zwei Wochen lang intensiv mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Neben einem vielseitigen akademischen Programm besteht die Gelegenheit zur fachlichen Vernetzung und zum Austausch mit internationalen Nachwuchsforschenden und Fachleuten verschiedener Disziplinen.

Die Unterrichtssprache ist Englisch.
Für eine erfolgreiche Teilnahme werden Sprachkenntnisse auf dem Niveau B2/C1 oder höher vorausgesetzt.

Ukraine and the World: Paradise(s) Lost?


Datum:
11. bis 23. August 2025

Organisation:
Universität Greifswald

Veranstaltungsorte:
Universität Greifswald
Institut für Slawistik

Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
Martin-Luther-Straße 14
17489 Greifswald 

Tagungsbüro:
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald ·
Melina Hubel M. A. 
17487 Greifswald
Telefon +49 3834 420 5014
melina.hubelwiko-greifswaldde