Die Freiheit der Anderen - Gleichstellung in bewegten Zeiten


Donnerstag, 22. Mai 2025 | 14.00 Uhr

Öffentliche Keynote im Rahmen des Forums „Zivilcourage. Gleichstellung in bewegten Zeiten“ von Prof. Dr. Ulrike Lembke (Freie Rechtswissenschaftlerin und Richterin des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin)

Gleichheit ist die Voraussetzung von Freiheit. Doch wie selten zuvor wird gegen die gleiche Freiheit im demokratischen Rechtsstaat polemisiert und diese untergraben. Antifeminismus, Frauenhass und Queerfeindlichkeit verbinden rechtsextreme, fundamentalistische und rechtspopulistische Bewegungen. Ihre Ideologien der Ungleichwertigkeit sind mit Freiheitsgewinnen für bislang marginalisierte und unterdrückte Menschen unvereinbar. Doch große Erzählungen von männlichen Privilegien als Normalzustand und „zu viel" Gleichberechtigung verfangen auch bei demokratischen Parteien und in der gesellschaftlichen Mitte. Fortschritte für mehr Selbstbestimmung von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten werden zu Tugendterror umgedeutet, der die als unbegrenzt verstandene persönliche „Freiheit“ beschränke, zu diskriminieren und zu profitieren, zu hetzen und zu verletzen.

Demokratie beruht auf gleicher Freiheit und der Rechtsstaat stellt den Mehrheitswillen unter den Vorbehalt des Minderheitenschutzes. Beharrliche politische Bemühungen haben in den letzten Jahren zu mehr Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen, mehr geschlechtlicher Selbstbestimmung, mehr Recht gegen Diskriminierung sowie institutionellen und kulturellen Transformationsprozessen geführt. Doch diese Erfolge sind fragil. Geschlechterrollen, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, geschlechtsbezogene Gewalt und der rasante Aufstieg autoritärer Politiken drohen die Gleichstellungsarbeit von Jahrzehnten zu vernichten.

Solidarische Bündnisse sind notwendiger denn je – und mehr denn je unter Druck. Gleichstellung für Frauen soll mit der Diskriminierung und Entrechtung von Anderen, insbesondere Geflüchteten, trans* Personen oder Muslimen, erkauft werden. Häufig gilt das Versprechen von (beschränkter) Gleichberechtigung schon nicht für alle Frauen und Mädchen, sondern nur für weiße deutsche Staatsbürgerinnen. Doch keine Frau ist frei, solange nicht alle frei sind, oder mit den berühmten Worten von Audre Lorde: “I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own.“

Gleichstellungsarbeit ist langwierig und mühsam. Noch mühsamer sind Bündnisse, in denen Freiheit und Gleichheit aus der Verbindung mit anderen Menschen entstehen. Doch Gleichstellung muss intersektional und solidarisch sein, wenn sie in bewegten Zeiten nicht untergehen will. Bis auf Weiteres gilt: All hands on deck!

Prof. Dr. Ulrike Lembke ist freie Rechtswissenschaftlerin und Expertin für rechtliche Geschlechterstudien in Berlin. Zuvor war sie fast anderthalb Jahrzehnte Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Universität Hamburg, der FernUniversität in Hagen und der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2020 ist sie Richterin des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin. Sie war ferner langjährig als Expertin im European Equality Law Network, in der Leitung der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte (HLCMR) sowie in der Projektleitung des BMBF-geförderten Verbundprojekts „Antisemitismus als justizielle Herausforderung“ (ASJust) tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte umfassen Verfassungsrecht, Antidiskriminierungsrecht, Menschenrechte, Gleichstellung und geschlechtliche Vielfalt, geschlechtsbezogene Gewalt, reproduktive Gerechtigkeit, die Geschichte der Frauenbewegungen sowie Rassismus und Antisemitismus.